Der blaue Text wurde von meinem Gesprächspartner angefangen, seine Texte sind hier immer blau, meine immer schwarz. Meine Texte, insoweit sie sich auf Stellen der Briefe bezogen, stellte ich einfach in die blauen Texte meines Gesprächspartners. Eine Verlinkung wäre eine andere Möglichkeit gewesen, aber eine aufwendigere. Wenn von oben bis unten gelesen wird, ist alles gelesen. Nicht relevantes und ungewünschtes wurde entfernt. 

 

Seltene innere starke Erlebnisse

Brief 1 (blau) 22.7 und Antwort 27.7 (schwarz)

 

Titel: Gibt es so etwas wie Wahrheit?

 

Ich möchte Dir dazu etwas mitteilen, das mich schon länger beschäftigt, bereichert, mich sehr nachdenklich macht, und das ich ganz konkret erfahren habe. Ich möchte voraus schicken, dass ich mich nicht als religiös verstehe. Die Kirchen und Religionen betrachte ich als unvollständige Versuche, das Leben zu begreifen und auch Profit daraus zu schlagen. Interessant sind diese Gebilde allenfalls kulturhistorisch und als Versuche Kontakt aufzunehmen mit transzendenter Wirklichkeit (Religion von religere lat. im ursprünglichen Sinn als Verbundensein mit dem was über den Mensch geht).

 

Ich sehe in Religionen mehr Negatives als Positives, habe aber nichts gegen Erfahrungen gleich welcher Art, mystische oder sonstige kreative und persönliche, wenn sie nicht mit offiziellen Systemen wie z.B. Religionen, Ländern und Sitten allzu sehr verbunden sind. Anderseits stellt sich philosophisch immer die Frage nach der Wahrheit, und es ist suspekt, wenn jemand glaubt, die Wahrheit gefunden zu haben. Das Gespräch im Forum Sprachkritik ist in dem Sinne interessant gewesen, es wurde noch in Mails weitergeführt, allerdings gibt es viele Personen, die nicht so gerne über manches sprechen, was sie so tun und denken. In diesem Sinne habe ich mich bisher auch schwer getan und meinen Namen auf meiner Webseite weggelassen, das werde ich noch nachholen. 

 

Beruflich bin ich als Musiker tätig im Bereich improvisierte Musik und Klassik. Bei dieser Tätigkeit sind sehr spezielle Erfahrungen möglich. Es dreht sich unter anderem auch um Kommunikation mit den Mitmusikern auf einer sehr tiefen Bewusstheitsschicht, die sehr schnelle, fast instinktive Reaktionen und teilweise auch Gleichzeitigkeiten zulässt. Fast schon telepathische Verständigungen kommen sehr oft zustande. 

 

(völlig einverstanden)

 

Dabei entsteht ein Ganzes, dass vielmehr enthält als seine einzelnen Teile. Nach einem in diesem Sinne gelungenen Konzert, erlebe ich immer ein Gefühl der inneren Stärke.

 

(das glaube ich alles)

 

Sicher kennst du als Musiker die verschiedenen Interpretationen der künstlerischen und erfinderischen Kreativität. So mancher versteht sich einfach als Durchgangsstelle für alles was er gelernt und erlebt hat (Mahler), der andere versteht sich nur als guten Handwerker, der dritte versteht dabei überhaupt nicht was mit ihm geschieht, bis hin zum Zuschreiben der Kreationen an externe Mächte. Dabei müßten diese Mächte ja wieder das Problem haben usw. bis ins Unendliche. Andererseits, warum sollten wir auch noch unsere Gründe verstehen, wir verstehen nicht einmal, wie wir zu einem Zeitpunkt funktionieren?

 

Bis vor etwa einem Jahr, bin ich immer davon ausgegangen, dass es die Aufgabe eines Musikers sei, seine persönlichen Grenzen, in psychologischer Hinsicht, abzubauen, damit der Fluss der Musik ungehindert strömen kann und oben geschilderte Ereignisse möglichst stark eintreffen können. Die dabei freigesetzte Kraft stammt aber immer aus den tiefen Schichten der beteiligten Musiker. Dazu müssen auch ziemlich viele zusätzliche Bedingungen erfüllt sein (gute Musiker, gute Akustik etc.).

 

"tiefer" beinhaltet ja auch schon: unbekannter, dunklerer, unkontrollierbarer usw. Es ist ein Durcheinander, was sich fast selbst organisiert, oder und alles dies?

 

Letztes Jahr konnte ich an der Aufführung der Matthäus Passion von Johann Sebastian Bach mitwirken. Die Aufführung war eher mittelmässig und wackelig. Und dennoch hatte ich nach der Aufführung ein ungeheuer starkes Erlebnis. Ich habe eine dieser Musik innewohnende Kraft erlebt die über das Menschliche hinausgeht. Ich bin einer Kraft gegenüber getreten, gegenüber der mein Ich verschwindend klein ist. Ganz anders als sonst bei einem gelungenen Konzert. Diese Kraft hatte überhaupt nichts mit mir zu tun und war erfahrbar obwohl die Rahmenbedingungen eher schlecht waren. Es war für mich beinahe eine Epiphanie. Allerdings so stark, dass ich das Gefühl hatte sowas nicht nochmal auszuhalten, also durchaus nicht nur angenehm.

 

Dieses Ereignis hat mein Weltverständnis total verändert. So verstehe ich jetzt anders, wieso große Komponisten und Musiker wie Bach, Brahms, John Coltrane und viele andere religiös resp. spirituell gewesen sind. Auch das griechische Bild der Muse deutet daraufhin, dass Inspiration von außen kommt (ev. auch von innen, auf jeden Fall nicht vom Ich). 

 

Auf jeden Fall nicht vom Ich, da stimme ich auch voll zu, wenn dieses Ich das gedachte Ich ist, so wie in Sätzen wie "Ich tue gerade dies oder jenes." Mit diesem Wort kommt man hier gar nicht voran. Wenn man aber das Ich als das z.B. durch die Haut Umgrenzte ansieht, dann kommt das Neue ganz sicher vom Ich, auch dann. Es bleibt dann die Frage, ob es in diesem Umgrenzten aus dem Vorhandenen entsteht, oder ob es direkt von außen hereinkommt. Hier bleibt noch die Trennung der zwei Sachverhalte, nämlich der neuen Kreation, die jeder eventuell bewundern kann, auch erneut bewundern, wenn sie aufgeschrieben wurde. Andererseits sind da die Kräfte, von denen du sprichst, die etwas bewirken, und diese sind wieder etwas anderes. Beide müssen separat betrachtet werden. Und die Art dieser Kräfte. Ob sie unterschiedlich sind bei verschiedenen Situationen:

- beim Hören von Musik

- beim Erleben von Ängsten

- beim Denken an den eigenen Tod

- beim Ersteigen von Bergen

- auf Fußballfeldern

- beim Erleben von Sex

- beim Zusammensein mit einem oder mehreren anderen

- bei Erfinden von Texten

- bei Erleben von gelesenen Geschichten

- Drogenerlebnisse

- im Publikum, beim Zuhören einer "großen" Rede eines Politikers

usw.

 

Brahms hat zu diesem Thema verlauten lassen: "Jede echte Inspiration rührt von Gott her, und Er kann sich uns nur durch jenen Funken der Göttlichkeit in uns offenbaren - durch das, was die heutigen Psychologen das Unterbewusstsein nennen."

 

Dieser Satz ist voll von verschiedenen, sich widersprechenden Aussagen. "Jede echte Inspiration rührt von Gott her." braucht keine Nachsätze mehr, er ist schon klar, wenn auch fragwürdig. Soll man jetzt das Wort Gott durch Göttlichkeit ersetzen, oder gar durch Funke oder Funke der Göttlichkeit?

Jede echte Inspiration rührt von Gott her.

Jede echte Inspiration rührt von der Göttlichkeit her.

Jede echte Inspiration rührt von einem Funken her.

Jede echte Inspiration rührt von einem göttlichen Funken her.

Jede echte Inspiration rührt von einem Funken der Göttlichkeit her.

Jede echte Inspiration rührt von einem sich offenbarenden Funken der Göttlichkeit her.

Ist dieser Funken eine Offenbarung? Ein Erhellen der Wahrheit? Warum dann die Metapher Funken und Offenbarung.

 

Und dann noch das Unterbewußtsein, gehört es jetzt noch zum Ödipus-Unbewußten Freuds oder zum automatischen Unbewußten, es gibt ja wieder hierzu eine Menge von Unterbewußtseinsarten.

 

Interessant ist es auch unter diesem Aspekt die Liste zu den Paradoxa unter http://www.sprachkritik.de zu lesen. Ich habe beim Lesen das Gefühl, dass da versucht wird eine, mit den Mitteln der Sprache nicht mehr beschreibbare, Wirklichkeit zu vermitteln.

 

werde ich mir noch angucken

 

Sehr spannend dazu auch eine letzthin ausgestrahlte Sendung auf DRS 2 zum Thema Labyrinth. Wenn auch etwas gar religiös angehaucht, so zeigen doch die Äußerungen von Gottfried Herder, C.G. Jung und den Mystikern in eine interessante Richtung.

 

werde ich auch noch lesen, danke für den Anhang. 

 

Was Mystik anbelangt, kann zumindest gesagt werden, daß auch diese wie die gesamte Philosophie so viele Richtungen und Probleme hat, daß sie einerseits kritisch zu bedenken ist, andererseits vermischt ist mit Sachverhalten, die nichts mit ihr zu tun haben müssen. Hier ist die Frage, wie man Mystisches erfahren kann, ohne systemhafte (ideologische, religiöse, geschichtliche) Sachverhalte anzunehmen. 

Vielleicht hast du gemerkt, daß ich Mystik zwar kritisch gegenüberstehe, sie aber nicht ablehne. Andererseits bin ich völlig gegen Religion, da sie allzu viel miteinander vereinen will, was nichts miteinander zu tun haben kann. (ein geschichtlicher Anführer, Wunder, Zwang, bestimmte Widersprüche und einen bestimmten Unsinn als Sinn anzusehen usw.) Andererseits ist es viel schöner, wenn jeder von seinen persönlichen Erlebnissen erzählt, und nicht von standardisierten Erlebnissen durch die Religion, in die er hineingeboren wurde.

 

Ich nehme an, daß du meine Webseite noch nicht gelesen hast. Ich vertrete schließlich eine philosophische Richtung, die nicht so ernst genommen wird von den meisten Philosophen, die aber überall vorhanden ist. Vielleicht geht der Solipsismustext dort in Richtung Mystik, den du vielleicht lesen könntest. 

 

Wenn mich auch oben geschildertes Erlebnis recht stark verunsichert hat, so komme ich nicht umhin festzustellen, dass es meinem Leben eine neue Richtung gegeben hat, die zu verfolgen sich lohnen dürfte.

 

Wenn nun bestimmte Erlebnisse einen Freiraum öffnen, und zu einer Neuorganisation anderer Gebiete seiner selbst Anlaß geben, so besteht die Möglichkeit, daß sie nicht lenkend eingreifen, sondern daß ein Freiraum für Systeme jeder Art besteht, was ich zwar hier nicht behaupte, sondern nur so sehe, beim Bedenken der Religionen. Und wenn die Erlebnisse verschwunden sind, und die Erinnerung an sie blaß, dann bleibt eventuell nur noch das dann angenommene System als Hemmschuh, oder als Tradition, die bei bestimmten Anlässen wieder erscheint.

 

Du siehst, daß das Thema mich nicht langweilt, und bin offen, auch hier hinzuzulernen, auch wenn es nicht mein eigentlicher Arbeitsbereich ist, der in einem bestimmten Ergründen liegt und sich auf der Webseite andeutet. Ich habe mir vorgenommen, nebenbei eine kommentierte Linksammlung zur Philosophie herzustellen, was mir viel Zeit rauben wird, ohne Gegenleistung. Sie ist fast nicht angefangen, und noch nichts davon habe ich ins Web gestellt. Auch eine Linksammlung zur Mystik wäre gut.

 


(zweiter Brief 1.8 und Antwort 3.8)

 

Insbesondere deine Einstellung zu Mystik und Religion hilft mir da Einiges klarer abzugrenzen. So einfach kann es ja auch nicht sein.... 

 

Die Abgrenzung ist in der Tat äußerst wichtig. Vielleicht tue ich bei meinen ständigen Denkversuchen nichts anderes.

 

Dennoch bleibt da dieses Erlebnis einer Kraft, die ich immer noch nicht so recht zuordnen kann. 

 

"Kraft" ist auch schon eine Metapher, "zuordnen" auch. Das Thema der Metaphern ist auch sehr komplex. Irgendwann werden Texte hierzu von mir folgen. Leider kann ich hier nur Fragen stellen, oder in Frage stellen. Folgendes stimmt auch für sonstiges Neues, was auf uns zukommt, nicht nur für die beschriebene Kraft, sondern für alles, was wir erstmalig erleben:

 

Einig sind wir uns sicher, daß das bestimmte Erleben etwas war, zu dem Zeitpunkt, an dem es zuerst präsent war. Wir sind uns sicher, daß es nicht nichts war. Weiter kann es eine hervorragende Intensität gehabt haben. Und deswegen konnte es sich gut in der Erinnerung festmachen, so daß es beim zweitenmal ohne Problem zusätzlich als ein schon Dagewesenes darstellten konnte. Ob ein bestimmtes Erleben nun mit einem Wort festgemacht wird oder nicht, spielt keine Rolle. Übrigens funktioniert alles, was uns geschieht, auf dieselbe Weise, mit unterschiedlicher Intensität. Doch jetzt folgt meine Frage: Mit welcher Berechtigung können wir sagen, daß das Erlebte 

- ein starkes packendes Gefühl war

- ein starker sonnenklarer Gedanke

- eine Kraft

- ein Licht

- ein Geist, der über uns kam 

- eine Bewußtseinserweiterung,

- Liebe 

- Gott 

- die Wahrheit

- ein spirituelles Erlebnis

usw.

 

Wenn es jedoch etwas war, das uns zusätzlich einen allgemeinen Eindruck von so etwas wie einer Extase (ein Herausgehen aus den Grenzen z.B.), eine Öffnung der Grenzen, ein allumfassendes Gefühl, brachte, dann konnte es nicht nur eine Kraft gewesen sein. Auch könnte gedacht werden, daß der Boden uns unter den Füßen entzogen wurde. Es könnte eine allgemeine Verunsicherung sein. Die Metaphern, die in diese Richtung gehen, sind anders als die vorhin genannten (Gedanke, Gefühl, Kraft, Licht, Geist, Liebe, größerer Bewusstseinszustand, Spiritualität usw.). Mir fallen jetzt keine anderen Metaphern zu dieser zweiten Art ein.

 

Jedenfalls müssen diese zwei Arten Erlebnisse auseinandergehalten werden, weil der zweiten Art die Körperstelle fehlt. Und es muß noch gedacht werden, wie sehr die Intensität eine Rolle spielt. Für beide muß gesagt werden, daß wir von vornherein nicht wissen, von wo sie kommen. Für einen Teil lernen wir dies mit der Zeit. Für einen anderen Teil haben wir keine Erklärung. So manche Erlebensformen können wir alsdann bei uns hervorrufen, manchmal mit Umwegen. Was können wir dann tun, wenn wir etwas nicht verstehen? Hier gibt es mehrere Möglichkeiten:

 

- Wir sagen, daß die Ursache außermenschlich ist, außerirdisch usw. Woher könnten wir dies wissen? Hätten wir hier nicht die Metapher eines Gottes oder das Göttliche als Lückenbüßer: was wir nicht verstehen, muß Gott verstehen. 

 

- Wir sind bescheiden und sagen, daß wir nicht genügend Wissen haben, um die Ursache herauszufinden. Entweder denken wir, daß wir nicht genügend lange in die Schule gegangen sind, oder wir sagen uns, daß die Wissenschaft irgendwann für alles eine Erklärung finden wird.

 

- Wir lassen die Sache so wie sie ist, und ergründen sie nicht, sind aber auch nicht resigniert vor einer Ursachesuche. Wir lassen das Fragwürdige fragwürdig sein.

 

Du fragst mich ob ich ähnliche Erlebnisse in verschiedenen anderen Situationen habe. Ich kenne diese Qualität des Empfindens aber nur in Kontakt mit Live Musik (bisher zwei bis drei mal). Ich empfand das als etwas den Mensch Übersteigendes. Eigentlich ist das ja gar nicht so abwegig, weil der Mensch ja dauernd außermenschlichen Kräften ausgesetzt ist. 

 

Die Frage bleibt aber bestehen von wo diese Kraft kommt. Natürlich gibt es auch viele andere sehr starke Erlebnisse, aber nicht aus diesem Bereich. Am ehesten noch andeutungsweise vergleichbar beim Anschauen eines abgedrehten Filmes wo übernatürliche Kräfte im Spiel sind. Da überfällt mich manchmal ein Schauern, als ob da etwas in mir darauf anspricht. Ist leider ein wenig schräg, aber es ist so.

 

Das Schauern gehört wahrscheinlich auch zur zweiten Art.

 

Bei Drogenerlebnissen (Pilze) habe ich erfahren, dass die Wirklichkeit ein wenig anders aussieht als sie gemeinhin durch unseren Filter im Normalzustand dargestellt wird. Aber daraus eine absolute Wirklichkeit konstruieren zu wollen, scheint mir dann doch zu vermessen. Immerhin steht man da ja unter der Wirkung eines Giftstoffes.

 

So einfach ist es da auch nicht. Warum sollte es mit oder ohne Giftstoffe anders sein. Außerdem sind Giftstoffe auch ohne Einnahme in uns vorhanden. Aber die Veränderung der Wirklichkeit wäre ja schon wieder eine dritte Art Erleben oder eher eine Erlebensart, die alles bisher Erlebte anders erleben läßt!

 

Dein Text über den Solipsismus scheint mir sehr interessant zu sein und hat glaub ich zahlreiche Verknüpfung mit der kreativen Welt. So geht z.B. das Gefühl der Weltverbundenheit, das Eins sein des Ichs mir der Welt, genau in Die Richtung des Schöpfens aus einem größeren Reservoir als dem eigenen. Ev. könnte auch Mahlers sich als Durchgangsstelle für Gelerntes und Erlebtes in diese Richtung verstanden werden. 

 

Ebenfalls scheint mir die moderne abstrakte Musik, sowie die moderne Malerei seit dem Impressionismus in Richtung eines Solipsismus zu gehen, im Sinne einer Darstellung von durch die Innenwelt gefärbten Bildern im Gegensatz zur abbildenden Malerei. Besonders auffällig wird das beim Surrealismus, wo oft traumhafte Wirklichkeiten dargestellt werden. 

 

Es fragt sich auch, ob mit dieser Entwicklung gewisse festgefahrene Vorstellungswelten aufgebrochen werden sollen, damit das menschliche Sein einen Schritt weiterkommt. 

 

Das wäre zu begrüßen.

 

Mir scheint wichtig zu sein, dass man, obwohl man das an sich Herangetragene nicht auswählen kann und in diesem Sinne Spielball vom Umgebenden und Internen ist, das sich Ereignende ordnet, Gutes und Interessantes fördert und nachgeht, Belangloses wegwirft und so mit der Zeit am inneren Gestein formt und schleift (als künstlerischer Ansatz). Ungeschickt fände ich in eine Art Fatalismus zu verfallen. 

 

Auf jeden Fall.

 

Vielleicht ist es auch nur eine Art Haltung oder Hingebung, die es einem ermöglicht in neue Bewusstheits-Zustände zu gelangen. Ich denke da z.B. an die totale Hingabe der Zen-Mönche um zu Erleuchtung (was immer das ist) zu gelangen.

 

Wie Du siehst, kann ich es nicht ganz lassen, immer wieder quasi religiöse Vergleiche anzustellen. Ich erlaube mir aber bei verschiedenen kulturellen Erscheinungsformen zu "spionieren" ohne gleiche ein Glaubenssystem annehmen zu müssen.

 

Für die beiden Absätze bin ich völlig einer Meinung.

Dem stehe ich keinesfalls entgegen, und würde mich auch gerne auf die Suche machen. Wenn uns dazu mehr Zeit zur Verfügung stünde! Hier müßte man auch noch ein Sammelsurium an Wissen haben, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Hier sind sprachliche und philosophische und sprachphilosophische Probleme mengenweise vorhanden. Andererseits ist Mystik nicht mein Arbeitsgebiet, und ich kenne mich keineswegs darin aus, aus diesem Grunde allein muß ich dich zu Personen schicken, die sich darin auskennen. 

 

Sicher haben die Religionen Prozeduren, mit denen sie Erlebnisse der oben genannten zweiten Art hervorrufen können. Einmal abgesehen von den "Fehltritten" der Religionen in der Geschichte und auch in der Gegenwart sehe ich Religionen nicht mit einem kritischerenAuge an als die Psychologien, weil auch letztere ihr Alchemistendasein fristen. 

 

Die Hingabe ist ja auch wieder eine andere Sache. Auch hier muß aufgeschlüsselt werden. 

1. Wir können dem Geschehen seine Unvorhersehbarkeit lassen. Wenn wir schon wissen, was auf uns zukommt, dann können wir uns nicht mehr darauf freuen. So ist das schon beim Kartenspiel, bei Musik, fast bei allem. Übrigens wissen die Musiker das ganz gut in Worte zu fassen, sie wissen meist genau, um was es geht. Alles das gehört in die Theorie des Glücks, in den Eudämonismus, den ich später auch behandeln werde. Allgemein bekannt ist jedenfalls, daß das Neue unerwartet sein soll, aber nicht zu unerwartet.

2. Geht es bei der Hingabe noch zusätzlich um etwas anderes? Um was? Soll das Gewährenlassen allgemeiner sein?

Ich weiß hier und jetzt leider keine Antwort. 

Es sind immer noch viele Fragen offen:

- Wie können diese Kräfte genutzt werden, nicht nur zum Genuß?

- Ist es sicher, daß diese Kräfte, weil sie so selten sind, in den Alltag hinein wirken können? (Beispielproblem: Sonntags in die Messe, werktags gehörig sündigen)

- Wie können die falschen Metaphern von den Kräften ferngehalten werden? z.B. "Weg, Erleuchtung, Bewusstseinserweiterung, Spiritualität .."

- Und wie kann verhindert werden, mit diesen falschen Wörtern weiter logisch zu denken: „Wenn ich auf dem richtigen Weg bin, muß der andere auf dem falschen sein!"

- Wie können die gefährlichen Seiten der Kräfte gebändigt werden?

- Soll eine Vermischung mit Moral erlaubt werden?

- Wenn es nicht ohne falsche Metaphern geht, wie können wir dann mit diesen umgehen?

- Wollen wir das Erfahren der Kräfte weitergeben? Hier ist noch das Problem gegeben, daß insbesondere bei diesen Erlebnissen noch mehr mißverstanden werden kann als bei der Wissensweitergabe. Das Wissen endet einfach dort, wo es nicht aufgenommen wird, bei der Weitergabe von Erlebens-Systemen werden jedoch die Metaphern mitgegeben, und die können beliebig von den Personen zumindest leicht geändert werden, und dann kann etwas völlig anderes daraus folgen.

- Wie kann verhindert werden, daß diese Kräfte sich mit Wissenssystemen verbinden, mit Machtsystemen, Ideologien, Politiken, Religionen? Das Problem ist nicht nur auf diese Kräfte beschränkt.

usw.

Alles Fragen, für die ich keine Antwort weiß!

Hier ist das Ende meiner Antwort, die eigentlich keine ist. 




(Dritter Brief (4.8.2001) und Antwort (10.8.2001)

 

je tiefer man sich mit einem Thema beschäftigt, desto mehr Fragen stellen sich und desto verzweigter wird der Themenast. Auch wenn nicht viele konkrete Antworten als Resultat in der Hand zurückbleiben, ist die Beschäftigung damit sehr lohnenswert. Die Antwort auf eine Frage mit einer neuen Frage ist auch eine Art Antwort, indem man das Feld erweitert und neue Bezüge schafft. 

Ich bin weiterhin der Überzeugung, dass das Paradoxe viel stärker in der Welt verbreitet ist, als man aufgrund unserer logischen Denkweise vermuten könnte. Oft gibt es einfach nicht so klare Antworten oder eben auch widersprüchliche.

 

Zu deiner Fragestellung in Bezug auf die Beurteilbarkeit von starken Erlebnissen gehe ich davon aus, dass jedes starke Erlebnis ein Schritt über das Gewohnte hinaus bedeutet. Das "Herausgehen aus den Grenzen" ist deshalb sicher, mindestens in den Ansätzen, immer darin enthalten. Interessant scheint mir deine Aufteilung der Erlebnisstärke in Bezug auf die Zuordnungsmöglichkeit auf einzelne Köperstellen, resp. auf das nicht mehr definierbare Erleben zu sein. Ich denke die Stärke eines Erlebnisses misst sich daran wie stark die einzelnen Schichten (Bewusstsein, Vorbewusstsein, Unterbewusstsein, oder wie auch immer man das alles nennen kann) einer Person durchschlagen werden.

 

Ein starkes Erlebnis ist deshalb durchaus nicht nur einfach angenehm, weil unter Umständen eine starke Durchmischung und Aufwühlung der Schichten einer Person stattfindet. In dem Sinne kann ich die Haltung dass "das Neue unerwartet sein soll, aber nicht zu unerwartet" gut verstehen. Ich denke aber, dass das verflüssigen der Inneren festgesetzten Strukturen immer wieder nötig ist, um nicht aufzuhocken.

 

Bei meinem Erlebnis hat es sich um ein nicht auf bestimmte Körperregionen zuordnungsbares Erlebnis gehandelt.

 

Beim Thema der Hingabe habe ich eher an eine Hingabe im Sinne von Konzentration, sich Widmen innerhalb eines unter Umständen solipsistischen Gewährenlassens gedacht. Die Idee wäre, innerhalb des nicht bestimmbaren Lebensflusses eine Haltung und Hingabe anzunehmen, so dass das Leben trotzdem ein wenig gestaltbarer und in eine Richtung lenkbarer wird und man ev. auch vermehrt in Kontakt mit starken, überschreitenden Erlebnissen kommt.

 

Auf die vielen offenen Fragen weiß ich auch keine Antwort. Allgemein nutzbar ist das Wissen um diese Kräfte von allerlei Machtsystemen. Ansonsten denke ich, dass es eher in den Bereich der persönlichen Anstrengung, zum Wachsen und ev. auch Wissenserwerb jedes Einzelnen gehört. Austausch ist dabei aber sicherlich wichtig.

 

Unsere Korrespondenz hat mir geholfen, das Ganze in einem etwas differenzierteren Licht

anzuschauen, was meines Erachtens wichtig ist, um sich mit neuen Erlebnissen in einer gewinnbringenden Art auseinanderzusetzen. Es ist besser zu versuchen, diese Erlebnisse zu nehmen wie sie sind, als sie mangels Erklärungen gewaltsam einem Bereich zuordnen zu wollen.

 

Du merkst sicher auch, daß ich mit dem was du schreibst, einverstanden bin. 

 

Noch nicht so recht haben wir an folgendes bedacht:

Die Grenzüberschreitung kann in verschiedene Richtungen gehen:

- zum Übertreffen der eigenen Person, zum 

- zu Neuem, noch nicht vorher Gedachten

Es kann aber auch eine Öffnung zu Neuem sein, oder zu den anderen, ein Wunsch, mehr mit ihnen zu teilen.

 

Dann noch das Aufwühlen von allem, bei dem eine Neubewertung stattfinden kann, aber auch eine Falschbewertung, oder nur ein zu großes Aufwühlen.

 

Andererseits ist da noch das unlösbare Problem, daß diese Erlebnisse sich beliebig binden können. 

1. Kann der eine sie für eine größere Tapferkeit im Krieg nutzen?

2. Können andere sie als Genußmittel nutzen, indem sie sagen: "Wir genießen die Kunst, die Musik, und wollen von ihr wie von anderem genießen: wir haben ja für das Konzert bezahlt, dann verschwinden wir wieder gestärkt in den Alltag, wo wir auch genießen wollen. So stärkt die Kunst unser praktisches Leben." 

3. Können die Erlebnisse sich mit Systemen und Ideologien jeder Art binden?

4. Können wir uns mit gemeinsam Erlebtem an Personen binden, die uns nicht in unserem Dasein fördern? Werden wir dann von unserer Verknalltheit betrogen, die wir dann Liebe nennen?

5. Können diese Erlebnisse uns in Kirchen treiben?

Ich sehe noch, daß ich von den seltenen Erlebnissen abgewichen bin, und über solche schreibe, die weniger selten sind, jedoch nicht so intensiv. Ich habe also keine so hohen Kriterien wie du an diese Erlebnisse gestellt. 

 

Es besteht auch immer noch die unbeantwortete oder schlecht Frage, wie sehr die Kräfte, die in einem Bereich entstehen, Musik z.B., auf andere Bereiche überhaupt wirken können, und zudem noch zeitverzögert. Beispiel: Wie ändere ich mich, wenn ich gute Erlebnisse auf Bergen habe, und die Unendlichkeit zu erfahren vermeine? Wie ändere ich mich, wenn Musik mir wirklich bis ins Mark geht? Andererseits erinnert das gute Erlebnis mich nicht direkt an die Verbesserungen, die es eventuell zustande gebracht haben sollte. Ein anderes Beispiel: "Obwohl ich viel Gutes mit einer Person erlebt haben kann, und ihr theoretisch dankbar sein dürfte, zumindest wenn ich an sie denke, tue ich jetzt nichts für sie, weil ich die Sache mit ihr als abgeschlossen ansehe." Eine weitere Frage ist, ob man überhaupt von außen Kräfte erhalten kann, Energien. Oder ob alles, was von außen kommt, nur innere Kräfte erwecken kann. 

 

Da gibt es auch noch Negativbeispiele: Nun habe ich eine Woche lang keine Musik gehört, und ich fühle mich doch wohl, es fehlt mir nichts.

 

Immer wieder mehr Fragen als Antworten, das hast du schon richtig bemerkt und kommentiert.