Der
blaue Text wurde von meinem Gesprächspartner angefangen, seine Texte sind hier
immer blau, meine immer schwarz. Meine Texte, insoweit sie sich auf Stellen der
Briefe bezogen, stellte ich einfach in die blauen Texte meines
Gesprächspartners. Eine Verlinkung wäre eine andere Möglichkeit gewesen, aber
eine aufwendigere. Wenn von oben bis unten gelesen wird, ist alles gelesen.
Nicht relevantes und ungewünschtes wurde entfernt.
Titel: Gibt
es so etwas wie Wahrheit?
Ich möchte Dir
dazu etwas mitteilen, das mich schon länger beschäftigt, bereichert, mich sehr
nachdenklich macht, und das ich ganz konkret erfahren habe. Ich möchte voraus
schicken, dass ich mich nicht als religiös verstehe. Die Kirchen und Religionen
betrachte ich als unvollständige Versuche, das Leben zu begreifen und auch
Profit daraus zu schlagen. Interessant sind diese Gebilde allenfalls
kulturhistorisch und als Versuche Kontakt aufzunehmen mit transzendenter Wirklichkeit
(Religion von religere lat. im ursprünglichen Sinn als Verbundensein mit dem
was über den Mensch geht).
Ich sehe in Religionen mehr
Negatives als Positives, habe aber nichts gegen Erfahrungen gleich welcher Art,
mystische oder sonstige kreative und persönliche, wenn sie nicht mit
offiziellen Systemen wie z.B. Religionen, Ländern und Sitten allzu sehr
verbunden sind. Anderseits stellt sich philosophisch immer die Frage nach der
Wahrheit, und es ist suspekt, wenn jemand glaubt, die Wahrheit gefunden zu
haben. Das Gespräch im Forum Sprachkritik ist in dem Sinne interessant gewesen,
es wurde noch in Mails weitergeführt, allerdings gibt es viele Personen, die
nicht so gerne über manches sprechen, was sie so tun und denken. In diesem
Sinne habe ich mich bisher auch schwer getan und meinen Namen auf meiner
Webseite weggelassen, das werde ich noch nachholen.
Beruflich bin
ich als Musiker tätig im Bereich improvisierte Musik und Klassik. Bei dieser
Tätigkeit sind sehr spezielle Erfahrungen möglich. Es dreht sich unter anderem
auch um Kommunikation mit den Mitmusikern auf einer sehr tiefen
Bewusstheitsschicht, die sehr schnelle, fast instinktive Reaktionen und
teilweise auch Gleichzeitigkeiten zulässt. Fast schon telepathische
Verständigungen kommen sehr oft zustande.
(völlig einverstanden)
Dabei entsteht
ein Ganzes, dass vielmehr enthält als seine einzelnen Teile. Nach einem in
diesem Sinne gelungenen Konzert, erlebe ich immer ein Gefühl der inneren Stärke.
(das glaube ich alles)
Sicher kennst du als Musiker
die verschiedenen Interpretationen der künstlerischen und erfinderischen
Kreativität. So mancher versteht sich einfach als Durchgangsstelle für alles
was er gelernt und erlebt hat (Mahler), der andere versteht sich nur als guten
Handwerker, der dritte versteht dabei überhaupt nicht was mit ihm geschieht,
bis hin zum Zuschreiben der Kreationen an externe Mächte. Dabei müßten diese
Mächte ja wieder das Problem haben usw. bis ins Unendliche. Andererseits, warum
sollten wir auch noch unsere Gründe verstehen, wir verstehen nicht einmal, wie
wir zu einem Zeitpunkt funktionieren?
Bis vor etwa
einem Jahr, bin ich immer davon ausgegangen, dass es die Aufgabe eines Musikers
sei, seine persönlichen Grenzen, in psychologischer Hinsicht, abzubauen, damit
der Fluss der Musik ungehindert strömen kann und oben geschilderte Ereignisse
möglichst stark eintreffen können. Die dabei freigesetzte Kraft stammt aber
immer aus den tiefen Schichten der beteiligten Musiker. Dazu müssen auch
ziemlich viele zusätzliche Bedingungen erfüllt sein (gute Musiker, gute Akustik
etc.).
"tiefer"
beinhaltet ja auch schon: unbekannter, dunklerer, unkontrollierbarer usw. Es
ist ein Durcheinander, was sich fast selbst organisiert, oder und alles dies?
Letztes Jahr
konnte ich an der Aufführung der Matthäus Passion von Johann Sebastian Bach
mitwirken. Die Aufführung war eher mittelmässig und wackelig. Und dennoch hatte
ich nach der Aufführung ein ungeheuer starkes Erlebnis. Ich habe eine dieser
Musik innewohnende Kraft erlebt die über das Menschliche hinausgeht. Ich bin
einer Kraft gegenüber getreten, gegenüber der mein Ich verschwindend klein ist.
Ganz anders als sonst bei einem gelungenen Konzert. Diese Kraft hatte überhaupt
nichts mit mir zu tun und war erfahrbar obwohl die Rahmenbedingungen eher
schlecht waren. Es war für mich beinahe eine Epiphanie. Allerdings so stark,
dass ich das Gefühl hatte sowas nicht nochmal auszuhalten, also durchaus nicht
nur angenehm.
Dieses Ereignis
hat mein Weltverständnis total verändert. So verstehe ich jetzt anders, wieso
große Komponisten und Musiker wie Bach, Brahms, John Coltrane und viele andere
religiös resp. spirituell gewesen sind. Auch das griechische Bild der Muse
deutet daraufhin, dass Inspiration von außen kommt (ev. auch von innen, auf
jeden Fall nicht vom Ich).
Auf jeden Fall nicht vom
Ich, da stimme ich auch voll zu, wenn dieses Ich das gedachte Ich ist, so wie
in Sätzen wie "Ich tue gerade dies oder jenes." Mit diesem Wort kommt
man hier gar nicht voran. Wenn man aber das Ich als das z.B. durch die Haut
Umgrenzte ansieht, dann kommt das Neue ganz sicher vom Ich, auch dann. Es
bleibt dann die Frage, ob es in diesem Umgrenzten aus dem Vorhandenen entsteht,
oder ob es direkt von außen hereinkommt. Hier bleibt noch die Trennung der zwei
Sachverhalte, nämlich der neuen Kreation, die jeder eventuell bewundern kann,
auch erneut bewundern, wenn sie aufgeschrieben wurde. Andererseits sind da die
Kräfte, von denen du sprichst, die etwas bewirken, und diese sind wieder etwas
anderes. Beide müssen separat betrachtet werden. Und die Art dieser Kräfte. Ob
sie unterschiedlich sind bei verschiedenen Situationen:
- beim Hören von Musik
- beim Erleben von Ängsten
- beim Denken an den
eigenen Tod
- beim Ersteigen von Bergen
- auf Fußballfeldern
- beim Erleben von Sex
- beim Zusammensein mit
einem oder mehreren anderen
- bei Erfinden von Texten
- bei Erleben von gelesenen
Geschichten
- Drogenerlebnisse
- im Publikum, beim Zuhören
einer "großen" Rede eines Politikers
usw.
Brahms hat zu
diesem Thema verlauten lassen: "Jede echte Inspiration rührt von Gott her,
und Er kann sich uns nur durch jenen Funken der Göttlichkeit in uns offenbaren
- durch das, was die heutigen Psychologen das Unterbewusstsein nennen."
Dieser Satz ist voll von
verschiedenen, sich widersprechenden Aussagen. "Jede echte Inspiration
rührt von Gott her." braucht keine Nachsätze mehr, er ist schon klar, wenn
auch fragwürdig. Soll man jetzt das Wort Gott durch Göttlichkeit ersetzen, oder
gar durch Funke oder Funke der Göttlichkeit?
Jede echte Inspiration
rührt von Gott her.
Jede echte Inspiration
rührt von der Göttlichkeit her.
Jede echte Inspiration
rührt von einem Funken her.
Jede echte Inspiration
rührt von einem göttlichen Funken her.
Jede echte Inspiration
rührt von einem Funken der Göttlichkeit her.
Jede echte Inspiration
rührt von einem sich offenbarenden Funken der Göttlichkeit her.
Und dann noch das
Unterbewußtsein, gehört es jetzt noch zum Ödipus-Unbewußten Freuds oder zum
automatischen Unbewußten, es gibt ja wieder hierzu eine Menge von
Unterbewußtseinsarten.
Interessant ist
es auch unter diesem Aspekt die Liste zu den Paradoxa unter
http://www.sprachkritik.de zu lesen. Ich habe beim Lesen das Gefühl, dass da
versucht wird eine, mit den Mitteln der Sprache nicht mehr beschreibbare,
Wirklichkeit zu vermitteln.
werde ich mir noch angucken
Sehr spannend
dazu auch eine letzthin ausgestrahlte Sendung auf DRS 2 zum Thema Labyrinth.
Wenn auch etwas gar religiös angehaucht, so zeigen doch die Äußerungen von
Gottfried Herder, C.G. Jung und den Mystikern in eine interessante Richtung.
werde ich auch noch lesen,
danke für den Anhang.
Was Mystik anbelangt, kann
zumindest gesagt werden, daß auch diese wie die gesamte Philosophie so viele
Richtungen und Probleme hat, daß sie einerseits kritisch zu bedenken ist,
andererseits vermischt ist mit Sachverhalten, die nichts mit ihr zu tun haben
müssen. Hier ist die Frage, wie man Mystisches erfahren kann, ohne systemhafte
(ideologische, religiöse, geschichtliche) Sachverhalte anzunehmen.
Ich nehme an, daß du meine
Webseite noch nicht gelesen hast. Ich vertrete schließlich eine philosophische
Richtung, die nicht so ernst genommen wird von den meisten Philosophen, die
aber überall vorhanden ist. Vielleicht geht der Solipsismustext dort in
Richtung Mystik, den du vielleicht lesen könntest.
Wenn mich auch
oben geschildertes Erlebnis recht stark verunsichert hat, so komme ich nicht
umhin festzustellen, dass es meinem Leben eine neue Richtung gegeben hat, die
zu verfolgen sich lohnen dürfte.
Wenn nun bestimmte
Erlebnisse einen Freiraum öffnen, und zu einer Neuorganisation anderer Gebiete
seiner selbst Anlaß geben, so besteht die Möglichkeit, daß sie nicht lenkend
eingreifen, sondern daß ein Freiraum für Systeme jeder Art besteht, was ich
zwar hier nicht behaupte, sondern nur so sehe, beim Bedenken der Religionen.
Und wenn die Erlebnisse verschwunden sind, und die Erinnerung an sie blaß, dann
bleibt eventuell nur noch das dann angenommene System als Hemmschuh, oder als
Tradition, die bei bestimmten Anlässen wieder erscheint.
Du
siehst, daß das Thema mich nicht langweilt, und bin offen, auch hier
hinzuzulernen, auch wenn es nicht mein eigentlicher Arbeitsbereich ist, der in
einem bestimmten Ergründen liegt und sich auf der Webseite andeutet. Ich habe
mir vorgenommen, nebenbei eine kommentierte Linksammlung zur Philosophie herzustellen,
was mir viel Zeit rauben wird, ohne Gegenleistung. Sie ist fast nicht
angefangen, und noch nichts davon habe ich ins Web gestellt. Auch eine
Linksammlung zur Mystik wäre gut.
Insbesondere
deine Einstellung zu Mystik und Religion hilft mir da Einiges klarer
abzugrenzen. So einfach kann es ja auch nicht sein....
Die Abgrenzung ist in der
Tat äußerst wichtig. Vielleicht tue ich bei meinen ständigen Denkversuchen
nichts anderes.
Dennoch bleibt
da dieses Erlebnis einer Kraft, die ich immer noch nicht so recht zuordnen
kann.
"Kraft" ist auch
schon eine Metapher, "zuordnen" auch. Das Thema der Metaphern ist
auch sehr komplex. Irgendwann werden Texte hierzu von mir folgen. Leider kann
ich hier nur Fragen stellen, oder in Frage stellen. Folgendes stimmt auch für
sonstiges Neues, was auf uns zukommt, nicht nur für die beschriebene Kraft,
sondern für alles, was wir erstmalig erleben:
Einig sind wir uns sicher,
daß das bestimmte Erleben etwas war, zu dem Zeitpunkt, an dem es zuerst präsent
war. Wir sind uns sicher, daß es nicht nichts war. Weiter kann es eine
hervorragende Intensität gehabt haben. Und deswegen konnte es sich gut in der
Erinnerung festmachen, so daß es beim zweitenmal ohne Problem zusätzlich als
ein schon Dagewesenes darstellten konnte. Ob ein bestimmtes Erleben nun mit
einem Wort festgemacht wird oder nicht, spielt keine Rolle. Übrigens
funktioniert alles, was uns geschieht, auf dieselbe Weise, mit
unterschiedlicher Intensität. Doch jetzt folgt meine Frage: Mit welcher
Berechtigung können wir sagen, daß das Erlebte
- ein starkes packendes
Gefühl war
- ein starker sonnenklarer
Gedanke
- eine Kraft
- ein Licht
- ein Geist, der über uns
kam
- eine Bewußtseinserweiterung,
- Liebe
- Gott
- die Wahrheit
- ein spirituelles Erlebnis
usw.
Wenn es jedoch etwas war,
das uns zusätzlich einen allgemeinen Eindruck von so etwas wie einer Extase
(ein Herausgehen aus den Grenzen z.B.), eine Öffnung der Grenzen, ein allumfassendes
Gefühl, brachte, dann konnte es nicht nur eine Kraft gewesen sein. Auch könnte
gedacht werden, daß der Boden uns unter den Füßen entzogen wurde. Es könnte
eine allgemeine Verunsicherung sein. Die Metaphern, die in diese Richtung
gehen, sind anders als die vorhin genannten (Gedanke, Gefühl, Kraft, Licht,
Geist, Liebe, größerer Bewusstseinszustand, Spiritualität usw.). Mir fallen
jetzt keine anderen Metaphern zu dieser zweiten Art ein.
Jedenfalls müssen diese
zwei Arten Erlebnisse auseinandergehalten werden, weil der zweiten Art die
Körperstelle fehlt. Und es muß noch gedacht werden, wie sehr die Intensität
eine Rolle spielt. Für beide muß gesagt werden, daß wir von vornherein nicht
wissen, von wo sie kommen. Für einen Teil lernen wir dies mit der Zeit. Für
einen anderen Teil haben wir keine Erklärung. So manche Erlebensformen können
wir alsdann bei uns hervorrufen, manchmal mit Umwegen. Was können wir dann tun,
wenn wir etwas nicht verstehen? Hier gibt es mehrere Möglichkeiten:
- Wir sagen, daß die Ursache
außermenschlich ist, außerirdisch usw. Woher könnten wir dies wissen? Hätten
wir hier nicht die Metapher eines Gottes oder das Göttliche als Lückenbüßer:
was wir nicht verstehen, muß Gott verstehen.
- Wir sind bescheiden und
sagen, daß wir nicht genügend Wissen haben, um die Ursache herauszufinden.
Entweder denken wir, daß wir nicht genügend lange in die Schule gegangen sind,
oder wir sagen uns, daß die Wissenschaft irgendwann für alles eine Erklärung
finden wird.
- Wir lassen die Sache so
wie sie ist, und ergründen sie nicht, sind aber auch nicht resigniert vor einer
Ursachesuche. Wir lassen das Fragwürdige fragwürdig sein.
Du fragst mich
ob ich ähnliche Erlebnisse in verschiedenen anderen Situationen habe. Ich kenne
diese Qualität des Empfindens aber nur in Kontakt mit Live Musik (bisher zwei
bis drei mal). Ich empfand das als etwas den Mensch Übersteigendes. Eigentlich
ist das ja gar nicht so abwegig, weil der Mensch ja dauernd außermenschlichen
Kräften ausgesetzt ist.
Die Frage bleibt
aber bestehen von wo diese Kraft kommt. Natürlich gibt es auch viele andere
sehr starke Erlebnisse, aber nicht aus diesem Bereich. Am ehesten noch
andeutungsweise vergleichbar beim Anschauen eines abgedrehten Filmes wo
übernatürliche Kräfte im Spiel sind. Da überfällt mich manchmal ein Schauern,
als ob da etwas in mir darauf anspricht. Ist leider ein wenig schräg, aber es
ist so.
Das Schauern gehört
wahrscheinlich auch zur zweiten Art.
Bei
Drogenerlebnissen (Pilze) habe ich erfahren, dass die Wirklichkeit ein wenig
anders aussieht als sie gemeinhin durch unseren Filter im Normalzustand
dargestellt wird. Aber daraus eine absolute Wirklichkeit konstruieren zu
wollen, scheint mir dann doch zu vermessen. Immerhin steht man da ja unter der
Wirkung eines Giftstoffes.
So einfach ist es da auch
nicht. Warum sollte es mit oder ohne Giftstoffe anders sein. Außerdem sind
Giftstoffe auch ohne Einnahme in uns vorhanden. Aber die Veränderung der
Wirklichkeit wäre ja schon wieder eine dritte Art Erleben oder eher eine
Erlebensart, die alles bisher Erlebte anders erleben läßt!
Dein Text über
den Solipsismus scheint mir sehr interessant zu sein und hat glaub ich
zahlreiche Verknüpfung mit der kreativen Welt. So geht z.B. das Gefühl der
Weltverbundenheit, das Eins sein des Ichs mir der Welt, genau in Die Richtung
des Schöpfens aus einem größeren Reservoir als dem eigenen. Ev. könnte auch
Mahlers sich als Durchgangsstelle für Gelerntes und Erlebtes in diese Richtung
verstanden werden.
Ebenfalls
scheint mir die moderne abstrakte Musik, sowie die moderne Malerei seit dem
Impressionismus in Richtung eines Solipsismus zu gehen, im Sinne einer
Darstellung von durch die Innenwelt gefärbten Bildern im Gegensatz zur
abbildenden Malerei. Besonders auffällig wird das beim Surrealismus, wo oft
traumhafte Wirklichkeiten dargestellt werden.
Es fragt sich
auch, ob mit dieser Entwicklung gewisse festgefahrene Vorstellungswelten
aufgebrochen werden sollen, damit das menschliche Sein einen Schritt
weiterkommt.
Das wäre zu begrüßen.
Mir scheint wichtig
zu sein, dass man, obwohl man das an sich Herangetragene nicht auswählen kann
und in diesem Sinne Spielball vom Umgebenden und Internen ist, das sich
Ereignende ordnet, Gutes und Interessantes fördert und nachgeht, Belangloses
wegwirft und so mit der Zeit am inneren Gestein formt und schleift (als
künstlerischer Ansatz). Ungeschickt fände ich in eine Art Fatalismus zu
verfallen.
Auf jeden Fall.
Vielleicht ist
es auch nur eine Art Haltung oder Hingebung, die es einem ermöglicht in neue
Bewusstheits-Zustände zu gelangen. Ich denke da z.B. an die totale Hingabe der
Zen-Mönche um zu Erleuchtung (was immer das ist) zu gelangen.
Wie Du siehst,
kann ich es nicht ganz lassen, immer wieder quasi religiöse Vergleiche
anzustellen. Ich erlaube mir aber bei verschiedenen kulturellen
Erscheinungsformen zu "spionieren" ohne gleiche ein Glaubenssystem
annehmen zu müssen.
Für die beiden Absätze bin
ich völlig einer Meinung.
Sicher haben die Religionen
Prozeduren, mit denen sie Erlebnisse der oben genannten zweiten Art hervorrufen
können. Einmal abgesehen von den "Fehltritten" der Religionen in der
Geschichte und auch in der Gegenwart sehe ich Religionen nicht mit einem
kritischerenAuge an als die Psychologien, weil auch letztere ihr Alchemistendasein
fristen.
Die Hingabe ist ja auch
wieder eine andere Sache. Auch hier muß aufgeschlüsselt werden.
(Dritter Brief
(4.8.2001) und Antwort (10.8.2001)
je tiefer man
sich mit einem Thema beschäftigt, desto mehr Fragen stellen sich und desto
verzweigter wird der Themenast. Auch wenn nicht viele konkrete Antworten als
Resultat in der Hand zurückbleiben, ist die Beschäftigung damit sehr
lohnenswert. Die Antwort auf eine Frage mit einer neuen Frage ist auch eine Art
Antwort, indem man das Feld erweitert und neue Bezüge schafft.
Zu deiner
Fragestellung in Bezug auf die Beurteilbarkeit von starken Erlebnissen gehe ich
davon aus, dass jedes starke Erlebnis ein Schritt über das Gewohnte hinaus
bedeutet. Das "Herausgehen aus den Grenzen" ist deshalb sicher,
mindestens in den Ansätzen, immer darin enthalten. Interessant scheint mir
deine Aufteilung der Erlebnisstärke in Bezug auf die Zuordnungsmöglichkeit auf
einzelne Köperstellen, resp. auf das nicht mehr definierbare Erleben zu sein.
Ich denke die Stärke eines Erlebnisses misst sich daran wie stark die einzelnen
Schichten (Bewusstsein, Vorbewusstsein, Unterbewusstsein, oder wie auch immer
man das alles nennen kann) einer Person durchschlagen werden.
Ein starkes
Erlebnis ist deshalb durchaus nicht nur einfach angenehm, weil unter Umständen
eine starke Durchmischung und Aufwühlung der Schichten einer Person
stattfindet. In dem Sinne kann ich die Haltung dass "das Neue unerwartet
sein soll, aber nicht zu unerwartet" gut verstehen. Ich denke aber, dass
das verflüssigen der Inneren festgesetzten Strukturen immer wieder nötig ist,
um nicht aufzuhocken.
Bei meinem
Erlebnis hat es sich um ein nicht auf bestimmte Körperregionen zuordnungsbares
Erlebnis gehandelt.
Beim Thema der
Hingabe habe ich eher an eine Hingabe im Sinne von Konzentration, sich Widmen
innerhalb eines unter Umständen solipsistischen Gewährenlassens gedacht. Die
Idee wäre, innerhalb des nicht bestimmbaren Lebensflusses eine Haltung und
Hingabe anzunehmen, so dass das Leben trotzdem ein wenig gestaltbarer und in
eine Richtung lenkbarer wird und man ev. auch vermehrt in Kontakt mit starken,
überschreitenden Erlebnissen kommt.
Auf die vielen
offenen Fragen weiß ich auch keine Antwort. Allgemein nutzbar ist das Wissen um
diese Kräfte von allerlei Machtsystemen. Ansonsten denke ich, dass es eher in
den Bereich der persönlichen Anstrengung, zum Wachsen und ev. auch
Wissenserwerb jedes Einzelnen gehört. Austausch ist dabei aber sicherlich
wichtig.
Unsere Korrespondenz hat mir geholfen, das Ganze in einem etwas
differenzierteren Licht
anzuschauen, was meines Erachtens wichtig ist, um sich mit neuen
Erlebnissen in einer gewinnbringenden Art auseinanderzusetzen. Es ist besser zu
versuchen, diese Erlebnisse zu nehmen wie sie sind, als sie mangels Erklärungen
gewaltsam einem Bereich zuordnen zu wollen.
Du merkst sicher auch, daß
ich mit dem was du schreibst, einverstanden bin.
Noch nicht so recht haben
wir an folgendes bedacht:
- zum Übertreffen der
eigenen Person, zum
- zu Neuem, noch nicht
vorher Gedachten
Es kann aber auch eine
Öffnung zu Neuem sein, oder zu den anderen, ein Wunsch, mehr mit ihnen zu
teilen.
Dann noch das Aufwühlen von
allem, bei dem eine Neubewertung stattfinden kann, aber auch eine
Falschbewertung, oder nur ein zu großes Aufwühlen.
Andererseits ist da noch
das unlösbare Problem, daß diese Erlebnisse sich beliebig binden können.
1. Kann der eine sie für
eine größere Tapferkeit im Krieg nutzen?
2. Können andere sie als
Genußmittel nutzen, indem sie sagen: "Wir genießen die Kunst, die Musik,
und wollen von ihr wie von anderem genießen: wir haben ja für das Konzert
bezahlt, dann verschwinden wir wieder gestärkt in den Alltag, wo wir auch
genießen wollen. So stärkt die Kunst unser praktisches Leben."
3. Können die Erlebnisse
sich mit Systemen und Ideologien jeder Art binden?
4. Können wir uns mit
gemeinsam Erlebtem an Personen binden, die uns nicht in unserem Dasein fördern?
Werden wir dann von unserer Verknalltheit betrogen, die wir dann Liebe nennen?
5. Können diese Erlebnisse
uns in Kirchen treiben?
Es besteht auch immer noch
die unbeantwortete oder schlecht Frage, wie sehr die Kräfte, die in einem
Bereich entstehen, Musik z.B., auf andere Bereiche überhaupt wirken können, und
zudem noch zeitverzögert. Beispiel: Wie ändere ich mich, wenn ich gute
Erlebnisse auf Bergen habe, und die Unendlichkeit zu erfahren vermeine? Wie
ändere ich mich, wenn Musik mir wirklich bis ins Mark geht? Andererseits
erinnert das gute Erlebnis mich nicht direkt an die Verbesserungen, die es
eventuell zustande gebracht haben sollte. Ein anderes Beispiel: "Obwohl
ich viel Gutes mit einer Person erlebt haben kann, und ihr theoretisch dankbar
sein dürfte, zumindest wenn ich an sie denke, tue ich jetzt nichts für sie,
weil ich die Sache mit ihr als abgeschlossen ansehe." Eine weitere Frage
ist, ob man überhaupt von außen Kräfte erhalten kann, Energien. Oder ob alles,
was von außen kommt, nur innere Kräfte erwecken kann.
Da gibt es auch noch
Negativbeispiele: Nun habe ich eine Woche lang keine Musik gehört, und ich
fühle mich doch wohl, es fehlt mir nichts.
Immer
wieder mehr Fragen als Antworten, das hast du schon richtig bemerkt und
kommentiert.